Auf der Suche nach dem Sinn, der noch zu machen ist -
Bernhard Cella über seinen Wiener Konzeptsalon und die Ursachen des internationalen Booms an Künstlerbüchern.

    Was ist ein Buch?

    Bernhard Cella: Ein Buch ist ein Kommunikationsmittel. Es wird heute verstärkt als Medium eingesetzt, um Themen, die uns beschäftigen und die man kommunizieren möchte, zu formulieren. Das wird auch spürbar am enormen Boom des Selbstpublizierens, ein Phänomen, das ich als Privatisierung der Publikation bezeichne.


    Es gibt also einen Boom?
    Diesen Boom im Kunstbuchsektor ist gigantisch und hat zwei Ursachen: Einmal hat das Buch durch das Internet eine Befreiung vom Zwang erlebt, Informationen transportieren zu müssen. Seit ca. 1995 hat sich das Internet als Massenmedium durchgesetzt. Das Buchmedium selber wurde damit frei, denn die meisten Informationen, die man heute braucht, holt man sich nicht mehr aus Büchern, sondern aus dem Netz. Damit stellt sich zugleich auch die Frage neu, welche Möglichkeiten das Buch bietet. Das Internet ist aus meiner Sicht keinesfalls eine Konkurrenz zum Buch, ich erlebe es vielmehr als einen Spiegel, ein Vis-a-vis. So, wie die Fotografie im Film hat mittlerweile das Buch im Internet ein mediales Gegenüber gefunden.
    Die zweite Ursache liegt bei den Produktionstechniken, sie sind billiger geworden. Mittlerweile gibt es verschiedenste Techniken, mit denen sich sehr kleine Auflagen zu günstigen Preisen produzieren lassen. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Computer, der ja in allen Lebensbereichen Einzug gehalten hat. Viele Akteure in diesem Bereich, vor allem Künstlerinnen und Künstler, eignen sich die diversen Desktop Publishing-Programme selbst an. Auch sind viele der Produktionsschritte, die bei einem Buch zu machen sind, um ein Vielfaches billiger als noch vor zwanzig Jahren. Früher bedurfte jede Art von Entwurf doch eines aufwändigen Übersetzungsprozesses. Heute kenne ich eine ganze Reihe von sehr gut gemachten Publikationen, die mit nichts Anderem als einem Kopierer hergestellt wurden.


    Das heißt, der Kopiergerät steht am Anfang dieses ganzen Booms?
    Das könnte zutreffen und in dieser Entwicklungslinie ist ja auch eine ganz eigene Publikationskultur entstanden. Im Salon für Kunstbuch habe ich dazu eine Ausstellung realisiert. Der Ursprung liegt in der englischen Pop- und Rockkultur, wo während eines Konzerts sofort Reflexionen desselben verfasst und vervielfältigt wurden, um sie nach dem Konzert zu verkaufen. Das bedeutet faktisch: Die haben sich während des Konzerts hingesetzt, haben geschrieben, Fotos gemacht, Zeichnungen angefertigt und dann alles zusammenkopiert und schon nach dem Konzert am Ausgang verkauft. Daraus entstand eine eigene Kultur. Manche Stimmen beklagen dabei, dass durch diese Möglichkeiten des Selbstpublizierens die Qualität verfällt, weil vorher etablierte Regeln in der Gestaltung oder der Typographie nicht mehr beherrscht werden.
    Daran glaube ich nicht. Wie in vielen anderen Kulturbereichen braucht es einen breiten Bodensatz, an dessen Spitze sich Qualität entwickeln. Wenn man sich etwa den Kunstbetrieb als eine Pyramide vorstellt, dann zeigt sich, wie wichtig ein breit gefasster Bodensatz ist. Qualität entwickelt sich durch Vergleich und Konkurrenz.


    Wie bist du zum Buch gekommen?
    Ich habe während meines Studiums relativ viele Arbeiten entwickelt, die nur temporär sichtbar waren, sie waren prozessorientiert angelegt. Man kann auch sagen: Kunstwerke, von denen tendenziell eher wenig sichtbares bleibt. Das resultierte für mich in der Frage, ob und wie mit dem Rest dokumentarisch umzugehen wäre. Die Beschäftigung mit dem Medium Buch haben mein Interesse für Übersetzungsprozesse entstehen lassen. Der nächste Schritt bestand also in der Aufarbeitung und Überführung solcher Dokumente in die Buchtform: In wie weit lassen sich darin künstlerische Arbeiten dokumentieren und entwickeln? Wie kann z.B. eine Performance in eine Publikation überführt werden? Solche Fragestellungen habe ich in der Folge auf unterschiedliche Weisen durchgespielt.


    Wie kam es zum Salon für Kunstbuch?
    Am Beginn des Salonprojekts stand für mich die Frage, wie man sich heute als bildender Künstler in den Kunstdiskurs einbringen kann, ohne dabei die Augenhöhe zu verlieren. Also ohne zu großen Kontrollverlust, was das eigene Werk und die Umsetzung eigener Ideen betrifft. An diesem Ort versammle ich schon über mehrere Jahre, was KünsterInnen, Theoretiker und Autorinnen entwickeln, was immer auch die Formen, wie sie sich im Medium Buch äußern, mit einschließt. Aus diesen materialen Aspekten lassen sich wiederum skulpturale Prozesse ableiten.
    Und da Wien meines Wissens keine lange und breite Tradition im Medium Kunstbuch besitzt, es gleichzeitig eine Vielzahl von Diskursen gibt, habe ich es als wichtig empfunden, diesen Moment an einem konkreten Ort aufzugreifen und prozessorientiert in eine Form zu bringen. In einer Stadt wie Berlin oder Paris, in denen ich auch schon gearbeitet habe, wäre das so nicht entstanden.


    Die Auswahl der Bücher triffst du alleine?
    Ja, was hier zu sehen ist wurde von mir zusammengestellt, das hat Methode. An diesem Prozessaspekt ist interessant, dass es sich aus meiner Perspektive ja immer um Übersetzungsleistungen handeln muss. Deswegen werden die unterschiedlichen Verfahrensweisen im Medium Buch genauso anschaulich wie die unterschiedlichen Übersetzungsqualitäten. Jede dieser Publikationen gibt eine eigene Antwort auf die Frage: Wie übersetzt sich eine künstlerische Arbeit in ein Buch?
    Genauso spannend ist der inhaltliche Aspekt. Künstlerbücher sind auch Informationsquellen über das, was an ganz unterschiedlichen Orten in der Kunst jeweils verhandelt wird. Zum Teil lässt sich dadurch mehr in Erfahrung bringen als über die üblichen Kanäle, viele dieser Publikationen erscheinen ja ohne ISBN-Nummer, ein Phänomen, das früher die graue Literatur genannt wurde.
    Und diese Kunstbücher sind hier käuflich zu erwerben?
    Ja, man kann diese Bücher kaufen, andernfalls würde sich ja die Raumfunktion verschieben und es wäre nicht das Modell einer Buchhandlung, sondern eine Bibliothek. Mit dem Salonprojekt spiele ich eine konzeptionelle Praxis der amerikanischen Kunst der 1970er-Jahre weiter. Sie hat Ihre Vorreiter in Sol LeWitt und Lucy Lippard, auch ihnen ist es um eine eigene Distributionsform von Künstlerbüchern gegangen. Mich interessiert die Selbstorganisation von KünstlerInnen, Autoren und Kuratoren aus heutiger Perspektive. Auch damals ging es um Produktions- und Vertriebsmöglichkeiten und den Wunsch, teilweise unabhängig vom Kunstmarkt agieren zu können. Solche Fragen haben für mich eine aktuelle Relevanz, denn auch die jungen Künstlerinnen und Künstler greifen mittlerweile weltweit auf neue Werkzeuge der Produktion und Kommunikation zu.


    Wie definierst du ein Kunstbuch, bzw. Künstlerbuch?
    Der Begriff des Kunstbuchs umfasst alles, was zum Thema Kunst erscheint. Ein Künstlerbuch, darauf zielt diese Frage vermutlich, ist ein Buch, das von einem Künstler oder Künstlerin erdacht, gestaltet und oft auch selbst produziert und vertrieben wird. Ein Künstlerbuch wird zumeist als eigenständige Arbeit verstanden und erscheint in kleinen Auflagen, teilweise vom Autor signiert, in vielen Fällen ist auch ein Original beigelegt.
    Gibt es denn einen Markt für solche Eigenproduktionen?
    Ich denke ja. Die Entwicklung am heutigen Buchmarkt bereitet einen fruchtbaren Boden dafür, da sich die bestehenden Buchhandlungen in ihrer Sortierung immer mehr an Fastfoodketten annähern. Dadurch entsteht ein neuer Hunger nach Substanz, nach Inhalten, die sich nicht am Mainstream orientieren.
    Gibt es Sammler von Künstlerbüchern?
    Durchaus, es gibt Sammler, die mit einem bestimmten Fokus, einem eigenen Wertverständnis Werke suchen und zusammentragen. Für diesen Bereich suchen sie dann Bücher, die ihre Sammlung erweitern und vervollständigen. Vielleicht ist das mit Buchlesern zu vergleichen: Wer überhaupt liest, sammelt in irgendeiner Form wahrscheinlich auch Bücher. Hier gibt es sogar einige wenige Leute, die das zur Profession führen. Einer von denen, die mir persönlich bekannt sind, sammelt beispielsweise Künstlerbücher nur, wenn sie ein Autogramm haben, aktuell sind und in Österreich produziert worden sind.


    Gibt es in Österreich eine Wertschätzung für künstlerische Arbeiten im Medium Buch?
    In den Beneluxstaaten, der Schweiz und in Frankreich gibt es historisch nachvollziehbare Entwicklungen, die zeigen, wie aus dem offenen Umgang mit dem Buchmedium und der damit einhergehenden gesellschaftlichen Wertschätzung eine ganz eigene Buchkultur entstehen kann.
    Ich spreche hier von dem, was landläufig in einer sich als bürgerlich bezeichnenden Gesellschaft unter “werthaft” bzw. “wertvoll” verstanden wird. Wir in Österreich stehen da, verkürzt gesagt, in einer anderen Tradition. Der Wert, den etwas darstellt, misst sich bei uns daran, dass er in den jeweiligen Szenen als anerkannt gilt.
    Die Frage ist nicht zuletzt, inwiefern eine Gesellschaft sich dazu entschließen kann, Dingen, die keinen großen materiellen Wert darstellen wie Büchern einen idellen Wert beizumessen. Ohne eine vorhergehende Denk- und Leseleistung bleibt dieser Effekt aus.
    Aber auch hierzulande bildet sich eine wachsende Sensibilität für das Medium des experimentellen Buchs aus. Das macht sich sowohl in der Gestaltung als auch in der Konzeption von Publikationen bemerkbar. Viele Akteure aus Disziplinen wie Tanz, Theater, Grafik, Film oder Werbung suchen und finden heute Inspiration für Ihre eigene Arbeit in Künstlerbüchern.
    Das Interview beruht auf einem Gespräch mit Martin Scholz-Jakszus.